Sexuelle Funktionsstörungen der Frau (nach DSM5, 2015, ICD-11, 2019)

Etwa 30 bis 50 Prozent der Frauen haben in einigen Phasen ihres Lebens sexuelle Probleme. Wenn die Probleme ausreichend schwerwiegend sind, gelten sie als sexuelle Funktionsstörung. Unter sexueller Funktionsstörung (sexuelle Dysfunktion) versteht man Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr.

1. Das ist normal

Die meisten Menschen – Frauen als auch Männer – sind aus mehreren Gründen sexuell aktiv. Sie fühlen sich beispielsweise zu einer Person hingezogen oder wünschen sich körperliches Vergnügen, Zuneigung, Liebe, Romantik oder Intimität. Frauen haben eine eher emotionale Motivation für sexuelle Aktivitäten, wie z.B.

Die emotionale Intimität zu erfahren und zu steigern
Ihr Gefühl des Wohlbefindens zu steigern
Ihre Begehrtheit zu bestätigen
Einem Partner zu gefallen oder ihn zufrieden zu stellen
Mit einem neuen Partner steigt das sexuelle Interesse unabhängig vom Alter an. Nach einer langjährigen Beziehung haben Frauen oft nur weniger Verlangen nach Sexualität. Einige Frauen fühlen sich sexuell befriedigt, ungeachtet dessen, ob sie einen Orgasmus haben oder nicht. Andere Frauen erleben eine viel größere sexuelle Befriedigung mit einem Orgasmus.

Die vier Phasen der Sexualfunktionen:

  •          Sexuelles Interesse; Begehren: Motivation, mit einer sexuellen Aktivität zu beginnen oder fortzufahren.          Begehren kann durch Gedanken, Gerüche, durch den Körper eines Mannes Berührung usw. ausgelöst werden.
  •          Erregung: Die Frau spürt die sexuelle Erregung (emotionaler Teil). Gleichzeitig spürt sie eine körperliche Reaktion insbesondere im Genitalbereich: Erhöhte Blutversorgung mit Anschwellen der Kitoris und feucht werden (Produktion von Scheidenflüsigkeit.
  •          Orgasmus: Ist der Höhepunkt der sexuellen Erregung. Geht einher mit rhythmischem zusammenziehen der Scheidenmuskeln. Frauen können mehrere Orgasmen hintereinander haben.
  •          Entspannung: Gefühl des Wohlbefindens, Zufriedenheit und der Entspannung. Viele Frauen können unmittelbar nach dieser Phase wieder erregt werden.

Gelegentliche sexuelle Dysfunktionen sind normal
Allerdings ist diese Einteilung bei Frauen nicht immer hilfreich. Die Libido ist bei Frauen unterschiedlich stark vorhanden, deutlich verschiedener wie beim Mann, der die vier Phasen uniformer erlebt. Bei Problemen mit der Sexualfunktionen sind meistens sind mehrere Phasen gleichzeitig betroffen, und deutlich häufiger als beim Mann. Frauen, die nur schwer erregbar sind, haben meist weniger Lust am Geschlechtsverkehr, sowie Orgasmus Probleme oder Schmerzen. Letztere verlieren verständlicherweise das Interesse und Bedürfnis nach Sex.

2. Ursachen der sexuellen Dysfunktionen

Biopsychosoziale Geschehen.

Viele Faktoren verursachen verschiedene Arten sexueller Funktionsstörung.

  •          Eine Unterscheidung in psychische und körperlich bedingte Ursachen ist nicht sehr genau. Psychologische Faktoren können zu körperlichen Veränderungen in Gehirn, Nerven, Hormonen und schließlich in den Geschlechtsorganen führen.
  •          Körperliche Ursachen können sich psychisch auswirken, was wiederum körperliche Auswirkungen haben kann.
  •          Mangelndes Wissen und belastende Situationen können mehr im Vordergrund stehen als die biologische Konstitution der Frau.
  •          Paarbeziehung Probleme sind häufig und ein herausragender Faktor bei Sexualproblemen.
  •          Psychische Faktoren: Angst, geringes Selbstwertgefühl, Angst vor Intimität, Sorgen, keinen Orgasmus zu erleben.
  •          Situationsbedingte Faktoren: Verdünnung des Scheidengewebes bei Menopause, Infektionen im Genitalbereich, z. B. Genitalherpes. Müdigkeit, Schilddrüsenerkrankung
  •          Medikamente: Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva (SSRI), Opioide etc.

Bei allen Funktionsstörungen nach DSM-5 und ICD-10/11 gelten folgende gemeinsame Kriterien (Ergänzungen zu den einzelnen Störungen finden Sie bei dem jeweiligen Kapitel):

Eine Störung der Funktion wird nur diagnostiziert wenn ein Leidensdruck beim Betroffenen besteht. Die Symptome dauern mindestens 6 Monate an. Die sexuellen Funktionsstörungen kommen nicht durch ernste Paarprobleme, Stress, medizinische Krankheiten oder Alkohol- oder Drogenmissbrauch zu Stande. Sie können lebenslang auftreten. Manche sind auch erworben und treten erst nach einem Zeitraum relativ normalen sexuellen Funktionierens auf. Dem Betroffenen soll weder vom Partner noch von einem Arzt eine Behandlung aufgedrängt werden. Die Begriffe und Definitionen „sexuelle Funktionsstörungen“ sind zwar wie oben erwähnt problematisch. Jedoch ist die Diagnosestellung für einige Betroffene auch eine Unterstützung. Sie geben Anlass, sich mit dem Problem zu befassen, zu ergründen was ihr wichtig ist und sich Hilfe zu holen und das Leiden zu verringern.

Häufigkeit: 43% der Frauen geben an sexuelle Probleme zu haben.. Aber nur 12% der Frauen hatten einen Leidensdruck und fallen somit unter die DSM-%-Diagnosen.

3. Fehlen oder deutliche Verminderung des sexuellen Interesses bzw. Erregung

Ein Fehlen oder eine deutliche Verminderung des sexuellen Interesses äussert sich in Verminderung der sexuellen Aktivität, Gedanken oder Fantasien. Die Die Frau ist typischerweise unempfänglich gegenüber Versuchen des Partners, sexuelle Aktivitäten einzuleiten. Der Verlust des sexuellen Verlangens ist das Grundproblem und beruht nicht auf anderen sexuellen Problemen.

Ausserdem geht die Libido häufig mit fehlendem genitaler oder nichtgenitaler Empfindung einher. Mangel an sexuellem Verlangen schliesst sexuelle Befriedigung oder Erregung nicht aus, sondern bedeutet, dass sexuelle Aktivitäten seltener initiiert werden.
Es gibt Frauen die haben Zeitlebens kein Interesse an Sexualität und bei anderen tritt diese Störung erst nach einem Zeitraum auf, der mit sexuellem Interesse und Erregung auftritt.

Andere Frauen haben zwar kein Interesse an Sexualität, aber lassen dich auf Wunsch des Partners doch erleben diese Intimität gut und werden erregt.

Behandlung:

Die Therapie erfolgt nach der auslösenden Ursache. Organische Erkrankungen sollten gezielt behandelt werden.

Psycho- oder/und Paartherapie.

Paargespräch: Grundsätzlich ist für viele Patientinnen hilfreich, wenn der Partner vom Arzt miteinbezogen wird. Oft genügt bereits ein gemeinsames Gespräch über die tatsächlichen sexuellen Erwartungen beider Partner, denn beispielsweise denken Männer häufig ganz anders, als die Frauen glauben.

Verbesserung der Kommunikation: Dies führt häufig dazu, dass sich ein Paar wieder vermehrt zueinander entwickelt und trägt wesentlich dazu bei, dass eine Therapie rascher und effizienter wirkt.

Medikamente: Es gibt kein wirksames Medikament zur Behandlung von Libidoverminderung. Das Medikament Addyi (Flibanserin) in der Laienpresse als «Viagra für Frauen» bezeichnet, wurde 2015 in den USA zur Behandlung der Libido Verminderung bei Frauen zugelassen. Die Wirksamkeit konnte jedoch nicht bestätigt werden. Deshalb wurde es bisher in Europa und der Schweiz nicht zugelassen. Experten raten anstelle zu einer Psycho- oder Paartherapie.

Häufigkeit: Libidostörungen bei Frauen ist ein sehr häufiges Phänomen, laut Umfragen haben etwa 30% eine Libidoverminderung und 18 bis 27%.

 

4. Orgasmusstörungen

Der sexuelle Höhepunkt, (Orgasmus) bleibt aus, ist weniger häufig, kommt spät oder wird weniger intensiv erlebt, selbst wenn die sexuelle Stimulation ausreicht. Die Frau kann trotzdem auf mentale als auch auf emotionale Art sexuell erregt sein. Bei Masturbation ist die Orgasmusfähigkeit meist nicht häufiger oder intensiver.

Anorgasmie Der Orgasmus tritt nie ein.

Ursachen:

  •          Körperlich. Hormonell. Biologische Konstitution oder Anlage.
  •          Psychogen, z. B die Frau hat Mühe Kontrolle abzugeben und sich fallen zu lassen;
  •          Versagensangst;
  •          Geschlechtsverkehr dauert zu wenig lange
  •          Kulturell, mangelnde sexuelle Bildung.
  •          Ungenügendes Paargespräch über erregende Stimuli

Behandlung:

Positive Wirkung einer Psycho- oder Paartherapie ist möglich.

Häufigkeit: 5—10%
23% bis 26% haben eine Anorgasmie, bei Frauen häufiger als bei Männern

5. Schmerzen – Dyspareunie und Vaginismus

Dyspareunie wird als Schmerzen der Vagina, Vulva oder im kleinen Becken durch Penetration definiert. Geschlechtsverkehr, Einführen eines Dildos oder Spekulums bei der frauenärztlichen Untersuchung können die Schmerzen auslösen. Häufig gehen mangelnde Libido, vermindertes sexuelles Interesse und Erregung einher. Eine Erwartungsangst ist die Regel.

Vaginismus bezeichnet die unfreiwillige Kontraktion der Muskeln rund um die Scheidenöffnung, ohne auffällige Veränderungen der Geschlechtsorgane. Durch die enge Muskelkontraktion wird der Geschlechtsverkehr oder jede sexuelle Aktivität, bei der eine Penetration stattfindet, schmerzhaft oder unmöglich. Versagensangst verstärken die Krämpfe. Libido und sexuelle Erregung können vorhanden sein.

Sexuelle Aversion: Die Vorstellung von Sexualverkehr ist mit stark negativen Gefühlen verbunden und erzeugt so viel Furcht oder Angst, dass sexuelle Handlungen vermieden werden.

Ursachen

  •         Ungenügende Produktion von Scheidenflüssigkeit, sodass Scheidenwände trocken werden.
  •         Bei zu kurzem Vorspiel.
  •          Mit zunehmendem Alter wird weniger Östrogen produziert, was zu dünneren und trockeneren               Scheidenwänden führt.
  •         Ebenso ist beim Stillen der Östrogenspiegel tief und die Scheide eher trocken.
  •         Entzündungen der Scheide oder der Harnwege und Blase.
  •         Bestrahlungstherapie
  •         Psychische Belastungen bei Stress oder einer Angststörung (Verssagensangst)

Behandlung

Gleitmittel befeuchten die Vagina.

Behandlung von Infektionen

Östrogenbehandlung nach der Menopause

Psycho- oder Paartherapie

Häufigkeit: 17 -27% der Frauen geben an, Sexualität nicht als angenehm zu erleben.
21% der Frauen leiden unter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
6-16% haben Performanceängste

April 2019/Ap