Probleme der sexuellen Funktion

Normal oder krank?

Sexuelle Funktionen wie Erektion, Orgasmus, Samenerguss, „feucht“ werden, sexuelles Verlangen und Begierde sind beim Menschen störanfällig. Die Funktionen werden durch die selbstregulierenden Organe, sowie Nerven und Hormone gesteuert. Alle Ebenen sind fehleranfällig. Folgerichtig erachten viele Sexualmediziner die Einteilung der diagnostischen Manuale wie das amerikanisch DSM-5 oder das ICD-11 der WHO als zu kurz gegriffen. So nimmt eine Arbeitsgruppe der WHO kritisch zur verwendeten Definition Stellung „Die sexuelle Funktionsstörung umfasst jedoch mehr als die physiologischen Prozesse, da sowohl psychologische Faktoren als auch Faktoren, die über das Individuum hinausgehen, auf sie einwirken. Die sexuelle Funktion kann auch von sozialen und medizinischen Einstellungen zur Sexualität abhängig sein, z.B. bezüglich dem, was als „akzeptabel“ oder „normal“ betrachtet wird und was nicht. Im Allgemeinen“ …erachtet die Stellungnahme, „dass ’sexuelle Funktion‘ und ’sexuelle Funktionsstörung‘ problematische Begriffe sind“.

Beispielsweise der Penis: Aus biologischer Sicht dient der Penis zur Übertragung der Spermien in den weiblichen Geschlechtstrakt (und der Ausscheidung des Harns). Für den Sex muss er steif genug sein, um einen Sexualverkehr ausführen zu können. Die Erektion entsteht durch die Füllung der drei Schwellkörper mit Blut und die Verhinderung des Abflusses vom Blute. Nun können Zufluss und Abfluss durch Arterienverkalkung von zuführenden und abführenden Blutgefässen eingeschränkt werden. Dadurch wird der Penis nicht genügend oder genügend Lange steif. Nun kann aber auch eine Nervenschädigung vorliegen, sie bei der Multiple Sklerose oder Zuckerkrankheit. Es kann aber auch nur die Funktion der Nerven gestört sein, wo die Ursache meist beim Hirn liegt. Hormonmangel (Testosteron) beeinflusst die Erektion ebenfalls. Der wichtigste und häufigste Einfluss dürfte durch das Hirn erfolgen. So bezeichnete Woody Alen denn auch nicht ganz falsch „ das Hirn als grösstes Sexualorgan“. Jeder Mann hat schon einmal eine Erektionsstörung erlebt, typischerweise am Anfang einer Beziehung, unter Müdigkeit, Stress, Paarschwierigkeiten usw. Demnach sind Erektionsstörungen häufig und völlig normal.

In der medizinischen Diagnostik wird bis heute Erektionsstörungen, aber auch vorzeitiger oder verzögerte Samenerguss als etwas Krankhaftes oder Gestörtes beurteilt. Diese Einteilung wurde in den letzten Jahren aus sexualmedizinischer Sicht kritisiert. Die Diagnostik beinhaltet etwas Abwertendes und kann diskriminierend empfunden werden. Männer fühlen sich durch eine Funktionsstörung des Penis in Ihrem Selbst als Mann verurteilt und empfinden ein vermindertes Selbstwertgefühl. Für manche Männer ist es die grösste Schande, die sie sich vorstellen können und waren bereit vom Zauberer irgendwelche unsinnige Medizin zu schlucken, nur für etwas Hoffnung, dass sie ihre Potenz wieder bekommen. Allerdings möchte der Betroffene Hilfe und ist froh, wenn Ärzte sein Problem ernst nehmen. Wie willkürlich die medizinische Diagnostik ist, zeigt sich deutlich am zu schnellen Samenerguss. Es wird diskutiert, ob 15 oder 30 Sekunden intravaginal Zeit noch normal ist. In der Praxis schaut ja keine Mensch während der Sexualität auf die Uhr. Ausserdem geht die Beurteilung meist über die Partnerin, die es für ihr Gefühl richtig, zu lang oder zu kurz finden.

Definition von sexuelle Funktionsstörungen (im DSM-10/11der WHO

Wir lassen uns trotz der Problematik in der Einteilung der sexuellen Probleme von dem Diagnose Manual DSM-10/11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des amerikanischen DSM-5 leiten und greifen ihre Definition auf. Dies hat auch den Vorteil, dass die Behandlung der sexuellen Probleme anerkannt und gefördert wird. Eine sexuelle Dysfunktion (wie die sexuellen Funktionsstörungen auch genannt werden) besteht, wenn die persönlichen Ansprüche an eine erfüllte Sexualität nicht erreichbar sind und die Person oder der Partner darunter leidet. Diese Definition berücksichtigt neben der Störung der Sexualreaktion (körperliche Reaktion) durchaus auch subjektives Erleben sowie gesellschaftliche und kulturelle Vorstellungen von Sexualität.

Man unterscheidet zum einen zwischen primären (lebenslang bestehenden) und sekundären (erworbenen), zum anderen zwischen generalisierten (stets vorhanden) und situativen (nur in bestimmten Situationen auftretenden) sexuellen Dysfunktionen.

Die Ursachen der sexuellen Funktionsstörung

Sexuelle Funktionsstörungen können eine rein psychische, rein körperliche Ursache haben oder durch sowohl psychische als auch physische Probleme bedingt sein. Letzteres ist insbesondere bei älteren Menschen der Fall.

Bei Frauen und Männern sind psychologische Probleme sehr häufig die Ursache für sexuelle Dysfunktionen: Versagensängste, negative frühere Erfahrungen, Enttäuschung durch den Partner oder Frustration innerhalb der Beziehung, Depressionen oder Ängste und Stress in der Beziehung, Zeitmangel des Paares oder mangelnde Energie durch die Beschäftigung mit Kindern oder Beruf. Zusammenfassend gehen Sexualmediziner von einem multifaktoriellen Geschehen aus und brauchen dafür den Begriff Psychosomatik.

Bei den körperlichen Ursachen von sexueller Dysfunktion des Mannes und der Frau muss an folgende Probleme gedacht werden: Hormonelle Störungen, Medikamente, Alkohol- oder Drogenmissbrauch, neurologische Erkrankung oder Gefässerkrankungen.

Viele Männer sind besorgt wegen ihrer Erektionsstörung und sind in einem Teufelskreis von Versagensangst, Nervosität und unbefriedigendem Geschlechtsverkehr. Oft geht es soweit, dass sexuellen Aktivitäten ausgewichen wird.

Unterschiede von Mann und Frau

Es gibt kaum zwei Menschen, die sexuell gleich funktionieren und die gleichen Bedürfnisse haben. Die Unterschiede innerhalb der Männer und innerhalb der Frauen können ebenso gross sein, wie zwischen Männern und Frauen. Und doch gibt es die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Damit die Sexualität von beiden Partnern befriedigend erlebt wird und beide zufrieden mit ihrem Sexualleben sind, lohnt es sich, die Unterschiede gegenseitig zu kennen und zu berücksichtigen.

Männer

Männer sind im Bereich Sexualität visueller als Frauen. So werden sie deutlich häufiger pornosüchtig. Gerade jungen Männern ist die Sexualität häufig wichtiger als den gleichaltrigen Frauen. Im Schnitt werden gerade junge Männer schneller erregt. Für Männer ist Sexualität eine wichtige Bestätigung ihres Selbstwertes. Gleichzeitig sind die Sexualfunktionen des Mannes störungsanfällig und die Probleme mit der sexuellen Erregung und dem Orgasmus sind offensichtlich und für beide Partner klar erkennbar: Eine Erektionsstörung ist nicht zu übersehen und verunmöglicht den Geschlechtsverkehr. Zu schneller Samenerguss wird für beide unmittelbar deutlich. Die Angst vor Versagen, vor einer Blamage und vor dem Verlust der sexuellen Attraktivität ist naheliegend. Vermeidung von Sexualität, Beziehungsschwierigkeiten und eine chronische Störung sind häufige Folgen. Diese Versagensgefühle treffen meist die ganze Person, oft mit der Folge eines verminderten Selbstwertgefühls.

Frauen

Bei der Frau dauern die vier Phasen der sexuellen Erregung in der Regel länger, sodass sie häufig später zum Höhepunkt kommt als der Partner. Die Hälfte der Frauen kommt sogar nur selten oder gar nicht zum Orgasmus. Im Unterschied zu Männern können Frauen einen Orgasmus vorspielen ohne dass der Mann es merkt. So sind Frauen in der Regel weniger von Versagensängsten geplagt wie Männer. Manche Frauen fühlen sich wegen geringerer Erregung und ausbleibendem Orgasmus benachteiligt, was von starken negativen Gefühlen begleitet sein kann – gerade bei Frauen, die sich gegenüber Männern schon benachteiligt fühlen. Manche Frauen jedoch können mehrere Orgasmen kurz hintereinander haben.

Gelebte Sexualität ist immer ein Kompromiss der Bedürfnisse

Offensichtlich gibt es die Unterschiede zwischen Frau und Mann bei der Funktion der Hormone, des Hirns, bei der Emotionalität und schliesslich auch bei den Sexualorganen. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine für beide Partner erfüllte Sexualität immer Kompromisse braucht. Partner kommen nicht darum herum zu verstehen, was typisch Mann und was typisch Frau ist. Das ist für eine Partnerschaft sowohl Schwierigkeit als auch Chance. Unterschiede haben immer das Potenzial zur Weiterentwicklung. Das sollten Paare berücksichtigen. Es lohnt sich für ein Paar, Unterschiede im Erleben und in den Vorstellungen zu diskutieren und bei ihrem Liebesleben zu berücksichtigen. Missverständnisse und vielleicht Missstimmungen und Streit sind sonst programmiert.

März 2019/Ap

Weitere Informationen:

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